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Vom Notstand zur Nahostkrise: Wie Chaos zur Strategie wurde

Proteste in Kalifornien, Fluten in Texas, geopolitische Eskalation in Teheran, offene Drohungen gegen Politiker in New York – die USA stehen am Rand des Kontrollverlusts. Doch statt das Land zu einen oder zu stabilisieren, verfolgt Präsident Trump einen riskanten Plan: Er versucht, das wachsende Chaos im Inneren durch außenpolitische Aggression und mediale Ablenkung zu überdecken – notfalls mit Gewalt.

Während an der US-Westküste Zehntausende auf die Straße gehen, um gegen soziale Kürzungen, Polizeigewalt und militärische Eingriffe zu protestieren, versinken Teile von Texas in den Fluten einer Jahrhundertkatastrophe. Über 100 Menschen verlieren ihr Leben, viele davon in Regionen, in denen Trump zuvor die Finanzierung für Katastrophenschutz massiv gekürzt hatte. Die klare Verbindung zu fehlender Klimapolitik und maroder Infrastruktur wird in den Medien diskutiert – doch Trump schweigt.

Stattdessen verlegt er die öffentliche Aufmerksamkeit ins Ausland: Mitten in einer diplomatisch sensiblen Phase gibt er den Befehl zur Bombardierung iranischer Atomanlagen – obwohl Teheran nachweislich zu Gesprächen bereit war. Was als außenpolitischer Paukenschlag verkauft wird, wirkt bei näherem Hinsehen wie eine kalkulierte Eskalation. Für Trump scheint jede geopolitische Krise willkommene Bühne zu sein, solange sie den innenpolitischen Druck aus den Schlagzeilen drängt.

Gleichzeitig geht der Präsident auch verbal zum Angriff über – gegen politische Gegner im eigenen Land: In einem bizarren Interview droht er dem demokratischen Bürgermeisterkandidaten von New York, Mamdani, unverhohlen mit Verhaftung. Die Öffentlichkeit reagiert schockiert, doch die Trump’sche Maschinerie funktioniert – der mediale Fokus verlagert sich wieder weg von systemischen Problemen hin zur nächsten Provokation.

Und auch im Silicon Valley brodelt es: Elon Musk, einstiger Unterstützer Trumps, geht mittlerweile öffentlich auf Distanz zum Präsidenten – und wird prompt zum Ziel von Seitenhieben und Desinformationskampagnen. Der Tech-Milliardär wirft Trump in Interviews „Realitätsverweigerung“, autoritäres Gebaren und wirtschaftliche Kurzsichtigkeit vor. Was folgt, ist ein offener Machtkampf zwischen zwei Alphamännern – der allerdings mehr Schatten als Licht auf die realen Probleme der Bevölkerung wirft.

Ein zerrissenes Land – Repression statt Reform

Die Vereinigten Staaten stehen innenpolitisch am Limit. In Kalifornien eskalieren die Proteste, nachdem die Bundesregierung Kürzungen bei sozialen Programmen, drastische Eingriffe in das Bildungssystem und den Abbau von Klimaschutzmaßnahmen beschlossen hat. Tausende gehen auf die Straße – und werden mit Tränengas, Gummigeschossen und schwer bewaffneten Truppen konfrontiert. Präsident Trump reagiert auf die Unruhen nicht mit Dialog, sondern mit Machtdemonstration. Ohne Rücksprache mit dem Gouverneur entsendet er mehrere Tausend Nationalgardisten und rund 700 Marines nach Los Angeles – ein beispielloser Schritt in einem demokratisch geführten Bundesstaat. Die örtliche Regierung spricht von einem „verfassungswidrigen Übergriff“ auf föderale Kompetenzen. Die Lage vor Ort ist explosiv.

Machtdemonstration des Präsidenten: Kräfte der Nationalgarde auf den Straßen von Los Angeles
Demonstration staatlicher Autorität: Nationalgarde in Los Angeles im Einsatz (Quelle: spiegel.de)

Während Kalifornien von innenpolitischer Repression erschüttert wird, eskalieren die Spannungen innerhalb der politischen Rechten: Donald Trump verschärft den Ton gegen Kritiker aus den eigenen Reihen – allen voran gegen Elon Musk. Der Tesla- und X-Chef, einstiger Unterstützer, geht zunehmend auf Distanz zum Präsidenten. In mehreren öffentlichen Statements kritisierte Musk Trumps Kurs in Energie-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – insbesondere dessen aggressive Haltung gegenüber Bundesstaaten wie Kalifornien. Trumps Reaktion: öffentliche Demontageversuche, persönliche Angriffe und wiederholte Twitter-Attacken, zuletzt garniert mit Spott über Musks sinkende Beliebtheitswerte.

Doch Musk bleibt nicht bei Worten. Der Multimilliardär denkt über die Gründung einer eigenen politischen Partei nach. Die Bewegung, über die er auf seiner Plattform X bereits Stimmung testet, firmiert bislang unter dem Namen „America Party“. Im Zentrum der Agenda: radikale Bürokratieabbau, eine „reformierte Regierungsführung“ und ein neuer Umgang mit Technologie und Innovation. Damit adressiert Musk gezielt ein politisches Vakuum – viele Republikaner, gerade in wirtschaftsnahen Kreisen, suchen nach einer Alternative zum zunehmend autoritär agierenden Trump. Ob es tatsächlich zur Parteigründung kommt, ist offen – doch schon jetzt droht Musk, zum Zünglein an der Waage zu werden. Für Trump wäre das fatal: Er verliert nicht nur einen prominenten Unterstützer, sondern riskiert, dass sein Lager weiter zerbricht – wirtschaftlich, ideologisch und medienstrategisch. Diese politische Frontlinie zwischen zwei Milliardären ist mehr als ein persönlicher Egotrip: Sie spiegelt den Zerfall der konservativen Einheitslinie, die Trump einst aufgebaut hatte. Während der Präsident noch mit außenpolitischer Konfrontation Stärke simuliert, verliert er zusehends Kontrolle über sein wirtschaftliches Lager – und damit über die Geldgeber, die sein politisches Überleben sichern sollen.

Trump und Musk im März im Weißen Haus
Eskalierender Streit: Trump und Musk im März im Weißen Haus auf Konfrontationskurs (Quelle: stern.de)

Auch in New York spitzt sich die Lage zu. Der demokratische Bürgermeisterkandidat Zohran Mamdani, selbst Sohn ugandischer Einwanderer und progressiver Politiker, stellt sich öffentlich gegen Trumps autoritären Kurs. Als Reaktion drohte Trump öffentlich mit einer Verhaftung Mamdanis – allein aufgrund dessen kritischer Haltung zu den Einsätzen der Nationalgarde. Diese Drohung markiert eine gefährliche Eskalation: Statt auf politische Auseinandersetzung setzt Trump auf Einschüchterung und Kriminalisierung oppositioneller Stimmen.

Mamdani warnt vor einer Normalisierung dieser Praxis. „Seine Aussagen stellen nicht nur einen Angriff auf unsere Demokratie dar, sondern auch einen Versuch, allen New Yorkern, die sich weigern, im Schatten zu leben, eine Botschaft zu senden: Wenn du dich zu Wort meldest, werden sie dich holen.“, sagte Mamdani in einem Interview. Die zunehmende Militarisierung der Innenpolitik und die gezielten Angriffe auf Bundesstaaten und Bürgermeister seien kein Zufall, sondern Teil einer Strategie, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen.

Die Opposition wird dabei nicht politisch bekämpft, sondern kriminalisiert. Gouverneure, Bürgermeister, Unternehmer – wer nicht auf Linie ist, wird öffentlich angegriffen oder unter Druck gesetzt. Es ist eine Strategie der Polarisierung, die nicht auf politische Lösungen abzielt, sondern auf Kontrolle. Was auffällt: Trump bekämpft nicht die Probleme – sondern ihre Sichtbarkeit. Die realen Krisen – soziale Ungleichheit, ein kollabierendes Gesundheitssystem, eine ausbleibende Klimapolitik – werden systematisch ausgeblendet. Stattdessen regiert der Präsident mit Eskalation, Ausnahmezuständen und einem gefährlichen Mix aus medialer Ablenkung und realer Gewaltandrohung.

Iran – Eskalation statt Diplomatie

Während die USA innenpolitisch an Stabilität verlieren, verlagert sich Trumps Aufmerksamkeit zunehmend ins Ausland – nicht etwa, weil dort die Lösungen liegen, sondern weil dort die Ablenkung beginnt. Im Zentrum der jüngsten Auseinandersetzung: der Iran.

Der Konflikt mit Teheran ist nicht vom Himmel gefallen. Noch 2015 galt das multilaterale Atomabkommen (JCPOA) als diplomatischer Meilenstein. Es verpflichtete den Iran zu strengen Auflagen hinsichtlich seines Atomprogramms, gewährte internationalen Inspektoren Zugang zu Anlagen und führte zu einer kontrollierten Lockerung von Sanktionen. Die Internationale Atomenergiebehörde bestätigte mehrfach die Einhaltung der Vereinbarungen durch den Iran. Europa, Russland und China standen geschlossen hinter dem Deal.

Ist der Kompromiss nach zwei Jahren Gespräche endlich da? Enrique Mora, Koordinator der EU für die Gespräche zur Wiederbelebung des Atomabkommens mit Irans Chefunterhändler Ali Bagheri Kani, hier Ende März in Teheran.
Fast genau zehn Jahre nach der historischen Einigung: Enrique Mora, EU-Koordinator für die Gespräche zur Wiederbelebung des Atomabkommens, trifft Ende März in Teheran auf Irans Chefunterhändler Ali Bagheri Kani – in Erinnerung an den Durchbruch vom März 2015 (Quelle: sueddeutsche.de)

Doch 2018 trat die USA unter Präsident Trump einseitig aus dem Abkommen aus – entgegen der Warnungen der europäischen Partner und ohne eine tragfähige Alternative. Stattdessen setzte Washington auf eine Politik des „maximalen Drucks“: wirtschaftliche Sanktionen, Isolation, Drohungen. Die Folge: Der Iran fuhr seine Urananreicherung wieder hoch, verhärtete die innenpolitischen Fronten, und verlor zunehmend das Vertrauen in diplomatische Lösungen.

Donald Trump
Die USA steigen 2018 aus dem Atomabkommen mit Iran aus (Quelle: spiegel.de)

In den letzten Monaten jedoch öffneten sich vorsichtige Fenster für neue Gespräche. Doch statt dieses Momentum zu nutzen, entschied sich Präsident Trump für Eskalation. Innerhalb weniger Tage ließ er iranische Atomanlagen bombardieren, unterstützte gezielt israelische Luftschläge und ließ durchblicken, dass weitere Angriffe folgen könnten. Der Iran sprach von einem „Akt der Aggression“, die internationale Gemeinschaft reagierte alarmiert.

Die politische Brisanz: Die Eskalation fiel nicht zufällig mit der innenpolitischen Destabilisierung zusammen. Während in den USA die Proteste eskalieren, Gouverneure rebellieren, Musk gegen Trump wettert und New Yorks Justiz anklagt, liefert der Konflikt mit dem Iran ein willkommenes Narrativ: äußere Bedrohung, vereintes Amerika, starker Führer. Der Krieg als innenpolitischer Befreiungsschlag.

Dabei hatte sich Trump selbst noch als Friedensbringer inszeniert. Kaum hatte er seine Kandidatur erklärt, kündigte er an, den Ukraine-Krieg „innerhalb von 24 Stunden“ beenden zu können – wenn man ihn nur ließe. Gleichzeitig forderte er den Friedensnobelpreis für sich, wegen seiner angeblichen Zurückhaltung in der ersten Amtszeit. Eine groteske Inszenierung: Während die Welt sich an sein diplomatisches Versagen erinnert, startet er einen Präventivkrieg gegen einen Staat, der gesprächsbereit war.

Es ist das Muster des Populisten: Laut Frieden rufen, während die Bomben fliegen. Die eigene Verantwortung wird verwischt, das Bild vom „starken Mann“ gepflegt. Die Eskalation gegen Teheran ist dabei nicht nur geopolitisch gefährlich, sondern vor allem: innenpolitisch kalkuliert. Denn solange über Raketen geredet wird, spricht niemand über Kalifornien, Texas – oder den drohenden Verfassungsbruch in New York.

Wenn die Politik Menschenleben kostet

Apropos Texas: Während Trump seine außenpolitischen Muskelspiele inszeniert und sich für Friedenspreise empfiehlt, versinkt einer der bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der USA buchstäblich im Wasser. Nach schweren Unwettern und einer der massivsten Sturzfluten der letzten Jahre sind in Texas über 100 Menschen ums Leben gekommen. Ganze Städte wurden überflutet, Notrufsysteme versagten, Evakuierungen kamen zu spät.

Fluten in Texas: Mehrere Meter schwoll der Fluss Guadalupe an und flute im Süden Texas unter anderem das Camp Mystic.
Mehrere Meter schwoll der Fluss Guadalupe an und flute im Süden Texas unter anderem das Camp Mystic (Quelle: zeit.de)

Besonders tragisch: Unter den Toten sind zahlreiche Kinder. Familien wurden von den Wassermassen im Schlaf überrascht, Schulen standen innerhalb von Minuten unter Wasser. Es ist nicht nur eine Naturkatastrophe – es ist das Resultat politischer Verantwortungslosigkeit. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit massiv bei Notfallplänen, Frühwarnsystemen und Umweltbehörden gekürzt. Budgetmittel für FEMA (Federal Emergency Management Agency) wurden gestrichen, Klimaforschung systematisch ausgehöhlt. Diese Linie wurde nicht nur fortgesetzt, sondern in seiner zweiten Amtszeit vertieft: noch weniger Mittel für Prävention, noch mehr Einschnitte in die öffentliche Infrastruktur. Auch Programme für den Hochwasserschutz, Frühwarnsysteme und Katastrophenresilienz wurden erneut zusammengestrichen – unter dem Deckmantel von „Effizienz“ und „Bürokratieabbau“. Währenddessen steigen die klimabedingten Extremwetterereignisse rasant an, wie selbst regierungsnahe Stellen nicht mehr bestreiten. Nur Trump tut so, als gäbe es keinen Zusammenhang – und behauptet weiterhin, der Klimawandel sei eine „chinesische Idee“ oder „nicht bewiesen“.

Die Realität: Texas leidet unter der Zunahme extremer Wetterphänomene, wie sie laut Klimaforschung längst direkte Folgen der Erderwärmung sind. Extremregen, unvorhersehbare Wetterschübe, kollabierende Infrastrukturen – alles vorhergesagt, alles ignoriert. Statt Prävention: Streichungen. Statt Klimaschutz: Ideologie. Die Toten von Texas sind keine unvermeidbare Tragödie. Sie sind das Resultat politischer Kurzsichtigkeit, neoliberaler Austerität und gezielter Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Doch aus dem Weißen Haus kommt keine Selbstkritik, sondern blanke Schuldabwehr: Trump behauptet, das Fehlen von National Weather Service Personal habe die texanische Sturmvorbereitung nicht beeinträchtigt, und nennt entsprechende Vorwürfe „politisch motiviert“.

Zur gleichen Zeit warnt die Wetterwissenschaft: Die geplanten weiteren Kürzungen bei der National Oceanographic and Atmospheric Administration – etwa die Streichung ganzer Forschungseinheiten – würden die Vorhersagekraft weiter schwächen. Die bittere Ironie: In dem Moment, in dem der Präsident Milliarden für militärische Aufrüstung ins Ausland schickt, fehlt es im eigenen Land an Sandsäcken, Warnsirenen und einem funktionierenden Krisenmanagement. Texas ist ein Mahnmal – für ein Amerika, das nicht zu wenig kann, sondern zu wenig will. Ein Land, in dem die Realität buchstäblich untergeht, weil die politische Elite lieber Bomben wirft als Infrastruktur saniert.

Ein Präsident gegen sein eigenes Land

Donald Trump regiert nicht – er inszeniert. Was er als Stärke verkauft, ist in Wahrheit Schwäche: Die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, Kompromisse zuzulassen und das Land über persönliche Machtinteressen zu stellen. Während er außenpolitisch zündelt, innenpolitisch unterdrückt und wissenschaftliche Warnungen ignoriert, bezahlen Millionen Amerikaner den Preis – mit ihrer Sicherheit, ihrer Freiheit, und am Beispiel Texas: mit ihrem Leben.

Diese Präsidentschaft ist kein Unfall mehr, sie ist eine Strategie. Eine Strategie der Eskalation, der Ablenkung, der autoritären Versuchung. Wer nicht pariert, wird angegriffen. Wer protestiert, wird kriminalisiert. Wer Hilfe bräuchte, wird sich selbst überlassen. Die eigentliche Krise ist daher nicht außenpolitisch oder ökologisch – sie ist demokratisch.

Trump regiert nicht trotz des Chaos, sondern durch das Chaos. Und je lauter die Sirenen in Teheran heulen, desto leiser sollen die Stimmen aus dem eigenen Land werden. Doch ein Land, das seine Probleme exportiert und seine Bürger im Stich lässt, verliert nicht nur an Ansehen – es verliert sein Fundament. Amerika brennt – nicht nur auf den Straßen, sondern in seinem Selbstverständnis. Und der Mann mit dem Feuerzeug steht im Oval Office.


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