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Transformation unter Spannung: Österreichs Energiewende kommt in Fahrt

Von über einem Jahrzehnt der politischen Untätigkeit zum energiepolitischen Kraftakt – was Österreichs neue Bundesregierung anpackt, ist nicht weniger als der Versuch, ein System unter Extrembedingungen umzubauen. Während Hitze Baustellen lahmlegt und Klassenzimmer unbenutzbar macht, rückt das neue Energiekonzept in den Mittelpunkt einer überfälligen Diskussion: Versorgungssicherheit, Leistbarkeit – und echte Klimaanpassung.

Der Preis des Zögerns

Mehr als zehn Jahre politischer Zauderei im Klimabereich haben ihre Spuren hinterlassen – und das nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch und gesellschaftlich spürbar. Besonders gravierend erschien das unter der grünen Regierungsbeteiligung. Das Klimaticket war zweifellos ein Schritt nach vorne. Aber der Klimabonus, ein pauschaler Ausgleich für die CO₂-Steuer, entpuppte sich eher als ineffiziente Gießkanne: Für Menschen auf dem Land durchschnittlich 220 €, aber mit stark sozial ungleichen Effekten; viele Gutverdiener profitierten ebenso – oder sogar stärker – als ärmere Haushalte. Diese Subventionierung wurde als „Helikoptergeld“ verspottet und stieß von Experten und den Sozialpartnern auf deutliche Kritik. Ein sozialpolitisches Fehlsignal mit hohen Kosten – und einer der Gründe, warum Österreich heute im Fokus des EU-Defizitverfahrens steht.

EU-Defizitverfahren gegen Österreich: Sanierungsmaßnahmen bereits im Nationalrat beschlossen (Quelle: vienna.at)

Mit dem Wechsel auf Markus Marterbauer alias “Sparmeister Nr. 1” hat Österreichs Finanzpolitik eine neue Richtung eingeschlagen. Seit seinem Amtsantritt präsentiert er sich als ruhiger, kompetenter Konsolidierer. Sein Credo: „Österreich kann sparen, wenn es will„, ein Leitmotiv, das sich in seinen Maßnahmen widerspiegelt.

Budgetrede im Mai 2025: Marterbauer legte ein strenges Doppelbudget vor – mit Einsparungsvorschlägen wie der Abschaffung des Klimabonus, Anpassungen beim Klimaticket- und Pendlerpauschalensystem sowie Streichung diverser Förderungen. Er stellte klare finanzpolitische Ziele vor – Senkung des Defizits unter die 3 %-Marke, Schuldenquote stabilisieren.

Das Echo der Bevölkerung fällt entsprechend positiv aus: Laut APA/OGM-Vertrauensindex führt Marterbauer im Beliebtheitsranking der Minister mit einem Saldo von +9.

Vertrauensindex: Marterbauer beliebtester Minister (Quelle: standard.at)

Zwei wichtige Fragen bleiben offen: Wird das öffentliche Vertrauen halten? Und gelingt es, den Klimakollaps zu bekämpfen, ohne soziale Kälte zu erzeugen?

Hitze tötet – auch in Österreich

Denn während Marterbauer das Budget zu sanieren versucht, machen die Folgen der Klimakrise keinen Sparkurs. Die Auswirkungen der Erderhitzung schlagen mit voller Wucht in den Alltag der Österreicherinnen und Österreicher ein – und das längst nicht nur in Form erhöhter Energiepreise oder Extremwetter. Der Sommer 2025 bringt eine neue Qualität der Bedrohung: Er bringt Tote. Und er bringt ein Bildungssystem an die Belastungsgrenze.

Ein Bauarbeiter stirbt in der Steiermark an einem Hitzeschlag – auf offener Baustelle, ohne ausreichenden Hitzeschutz. Es ist kein tragischer Einzelfall, sondern ein absehbares Drama, wie die Gewerkschaften seit Jahren betonen. Die Temperaturen am Bau lagen bei über 35 °C. Laut der Arbeiterkammer liegt genau dort die körperliche Leistungsgrenze für Arbeiten im Freien.

Die Bauwirtschaft ist die Branche mit den höchsten Temperaturen bei der Arbeit – und gleichzeitig eine mit hoher Unfallgefahr. Hitze ist da kein Schönwetterproblem, sondern Lebensgefahr, warnt die Gewerkschaft Bau-Holz.

Quelle: ZIB

Die Politik hat versäumt, Arbeitswelten auf die neue Realität vorzubereiten. Die Hitze trifft jene am stärksten, die ohnehin am unteren Ende der Einkommensskala stehen – und konterkariert jedes sozialpolitische Bemühen, wie es etwa Marterbauer und die neue Bundesregierung nun zu leisten versucht.

Klassenzimmer als Backöfen

Nicht nur am Bau wird es lebensgefährlich. Auch in den Klassenzimmern Österreichs herrschen Zustände, die in einem wohlhabenden und technologisch fortschrittlichen Land wie Österreich eigentlich nicht denkbar sein sollten. Die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung der Universität für Bodenkultur (BOKU) gemeinsam mit Greenpeace an einer Wiener Volksschule in der Maroltingergasse offenbaren ein alarmierendes Bild: Zwischen Mai und Juni 2025 wurden an 16 Schultagen Temperaturen von über 30 °C gemessen, an insgesamt 25 Tagen lagen die Raumtemperaturen über 27 °C.

Diese Hitze belastet Schüler:innen und Lehrkräfte massiv. Direktorin Elisabeth Gutenberg beschreibt die Situation eindrücklich: „Die Bedingungen erschweren das Lernen massiv. Einige Kinder haben Kreislaufprobleme, die Konzentration leidet.

Extreme Temperaturen beeinträchtigen die Konzentrationsfähigkeit und Gesundheit der Schüler:innen erheblich (Quelle: orf.at)

Das Problem liegt auf der Hand: Die Schulgebäude sind nicht nur alt, sondern akut klimauntauglich. Jahrzehntelang wurde bei Schulbau und Sanierung vor allem auf Kostenminimierung gesetzt – Investitionen in effiziente Beschattungssysteme wie Außenjalousien oder aufwendige Lüftungskonzepte blieben aus. Klimaanlagen, die heute an vielen internationalen Schulen längst Standard sind, sind in österreichischen Klassenzimmern die absolute Ausnahme.

Der Meteorologe und Klimaforscher Herbert Formayer von der BOKU bringt es auf den Punkt: „Klassenzimmer sind den Hitzewellen schutzlos ausgeliefert. Innerhalb von 20 Minuten steigt der CO₂-Wert auf gesundheitlich bedenkliche Werte.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt ein besonders drastischer Fall in einer Grazer Berufsschule. Dort wurde der Unterricht abgebrochen, weil im Klassenzimmer Temperaturen von bis zu 58 Grad Celsius gemessen wurden – wohlgemerkt nicht im Freien, sondern in einem regulären Schulraum. Laut Medienberichten klagten die Schüler:innen über Schwindel, Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden. Der Vorfall löste berechtigte Empörung aus und führte zu massiven Diskussionen über den baulichen Zustand und die fehlenden Schutzmaßnahmen in öffentlichen Bildungseinrichtungen.

Das Versäumnis ist eklatant, denn schon vor Jahren war klar, dass mit häufigeren und intensiveren Hitzewellen zu rechnen ist. Statt präventiv und zukunftsorientiert zu handeln, wurde die Chance vertan, Schulen klimaresilient auszubauen und damit nicht nur den Unterricht, sondern auch die Gesundheit von Schüler:innen zu schützen.

Neustart mit Strom: Das Energiekonzept der Bundesregierung als Wendepunkt

Die politischen und gesellschaftlichen Belastungen durch die Klimakrise sind längst kein Zukunftsszenario mehr, sondern Realität – sichtbar auf Baustellen, spürbar in Klassenzimmern, messbar in wachsender sozialer Ungleichheit. Umso dringlicher erscheint die umfassende Reform, die die Bundesregierung im Sommer 2025 vorgestellt hat: Mit dem neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ELWG) will sie nicht weniger als den Rahmen für Österreichs Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte neu definieren.

Mit dem neuen ELWG wird die größte Energiereform seit zwei Jahrzehnten auf den Weg gebracht“, teilte das Bundeskanzleramt mit.

Die Bundesregierung reagiert damit nicht nur auf die eskalierende Klimakrise, sondern auch auf konkrete Mängel im bestehenden Energierecht. Das bisherige Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) stammte in wesentlichen Teilen noch aus den frühen 2000ern – lange vor der Realität von Stromspeichern, bidirektionalem Laden oder flächendeckender Windkraft.

Die zentrale Stoßrichtung des ELWG: Der Energieverbrauch soll sinken, der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden, Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben – und das alles unter fairen, klar geregelten Bedingungen für Verbraucher:innen.

Was sich mit dem ELWG ändert:

1. Mehr Transparenz und Schutz für Endkund:innen

Das neue ELWG stärkt die Rechte der Energieverbraucher:innen. Vertragsbedingungen müssen klar und verständlich kommuniziert werden, Rechnungen übersichtlicher sein und auf Wunsch kostenlos in Papierform erhältlich. Preisanpassungen sind nur bei sachlicher Begründung erlaubt – und müssen rückgängig gemacht werden, wenn die Ursache entfällt. Kund:innen haben künftig Anspruch auf Ratenzahlung, monatliche Abrechnung, Grundversorgung oder dynamische Energiepreise.

2. Sozialtarif gegen Energiearmut

Einkommensschwache Haushalte erhalten bis zu einem gewissen Verbrauchsvolumen einen stark vergünstigten Strompreis von 6 Cent pro Kilowattstunde. Finanziert wird dieser Sozialtarif gemeinsam von Staat und Energieversorgern. Gleichzeitig wird Energiearmut erstmals einheitlich definiert, um Betroffene gezielter zu unterstützen.

3. Mehr Bürgerenergie, weniger Bürokratie

Das ELWG erleichtert lokale Stromerzeugung und -nutzung: Gemeinschaften dürfen erneuerbaren Strom direkt verkaufen, Direktleitungen nutzen und Speicher betreiben – mit deutlich weniger bürokratischen Hürden.

4. Neue Pflichten für Netzbetreiber

Netzbetreiber müssen künftig aktiver werden: Sie sollen Speicher betreiben, ihre Netze schneller anschließen und ausbauen sowie regelmäßig Netzentwicklungspläne vorlegen. Auch die Transparenz über Netzkapazitäten und die Digitalisierung werden gesetzlich vorgeschrieben.

5. Versorgungssicherheit durch Systemstabilität

Um die Stabilität trotz wachsendem Ökostrom-Anteil zu sichern, erlaubt das Gesetz künftig Eingriffe bei Einspeisespitzen von PV- und Windanlagen. Außerdem wird der Einsatz von Flexibilitätsleistungen im Stromnetz ausgebaut. Energieunternehmen müssen ihr Risikomanagement modernisieren und auf Krisen besser vorbereitet sein.

Das neue ELWG setzt somit klare Akzente. Während viele Akteur:innen die Stoßrichtung begrüßen, zeigen sich entlang der zentralen Maßnahmen aber auch einige Bruchlinien in der Bewertung.

Die Stärkung der Verbraucher:innenrechte und der geplante Sozialtarif für einkommensschwache Haushalte stoßen auf breite Zustimmung: Die Arbeiterkammer (AK) und die Wirtschaftskammer (WKO) loben den verbesserten Schutz und die neue Tarifgerechtigkeit, mahnen aber Nachbesserungen bei der fairen Verteilung der Netzkosten ein. Auch das Momentum-Institut sieht den Sozialtarif positiv, warnt jedoch davor, die Finanzierung auf dem Rücken von Kleinstanlagenbetreiber:innen auszutragen.

Die Industrie sieht das Gesetz als wichtigen Schritt, gerade angesichts der wirtschaftlich angespannten Lage. IV-Generalsekretär Christoph Neumayer bezeichnet das ELWG als „notwendiges Signal“, betont jedoch, dass es nun echte Entlastung bei Strompreisen brauche, um standortrelevante Investitionen zu sichern.

Die E-Wirtschaft, vertreten durch den Verband „Österreichs Energie“, lobt das Gesetz als „Startsignal für ein modernes Energierecht“. Gleichzeitig warnt der Dachverband vor möglichen Investitionshemmnissen – etwa durch die geplante Finanzierung des Sozialtarifs und zusätzliche Netzentgelte für PV-Anlagen, die aus ihrer Sicht zu einseitig zulasten der Versorger gingen.

Trotz dieser Differenzen herrscht Einigkeit über eines: Das Gesetz bringt dringend benötigte Klarheit und Struktur in ein System, das lange von Übergangsregelungen, Rechtsunsicherheiten und wachsendem Anpassungsdruck geprägt war. Ob es allerdings gelingt, soziale Balance, Versorgungssicherheit und Klimaziele unter einen Hut zu bringen, wird maßgeblich davon abhängen, wie die Details in der Begutachtungsphase nachgeschärft werden.

Wärmesektor: Der blinde Fleck in der Energiewende

Während das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ELWG) vor allem den Stromsektor adressiert und hier wichtige Weichen stellt, bleibt der Wärmesektor weitgehend außen vor – obwohl er den größten Teil des Energieverbrauchs in Österreich ausmacht.

Im Jahr 2022 lag der gesamte Energieverbrauch Österreichs bei rund 317 Terawattstunden (TWh). Davon entfielen etwa 156 TWh (knapp 50 %) auf den Wärmesektor – etwa Heizen und Warmwasser in Haushalten, Gewerbe und Industrie. Im Vergleich dazu verbrauchte der Stromsektor rund 73 TWh, was ungefähr 20 % des Gesamtenergiebedarfs entspricht. Der Mobilitätssektor schlug mit etwa 88 TWh (rund 30 %) zu Buche.

Der Energieverbrauch in Österreich im Jahr 2022 (Quelle: wienenergie.at)

Während der Stromverbrauch in Österreich bereits einen hohen Anteil an erneuerbaren Energien aufweist – bis 2030 soll dieser durch das neue ELWG bilanziell auf 100 % steigen – sieht die Situation bei der Wärmeversorgung anders aus: Im Wärmesektor stammt aktuell nur etwa ein Drittel der Energie aus erneuerbaren Quellen. Der überwiegende Teil wird nach wie vor durch fossile Energieträger wie Gas und Öl gedeckt, was nicht nur die Klimaziele erschwert, sondern auch Abhängigkeiten von Importen verstärkt.

Um Österreichs Energiesystem bis 2040 klimaneutral zu gestalten, braucht es daher neben dem Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung auch eine ambitionierte Wärmewende. So müssen – besonders in urbanen Zentren wie Wien – erhebliche Mittel in die Dekarbonisierung der Fernwärme fließen, begleitet von klaren politischen Rahmenbedingungen. Ebenso wichtig ist der Ausbau von Energiespeichern und intelligenten Netzen, um Versorgungssicherheit und Effizienz zu gewährleisten.

Diese Diskrepanz zeigt, dass die zentrale Herausforderung der österreichischen Energiewende im Wärmesektor liegt – ein Bereich, der heute überwiegend von fossilen Importen wie Gas und Heizöl geprägt ist und bislang kaum durch das ELWG berührt wird. Trotz seiner enormen Bedeutung für Klima- und Versorgungssicherheit bleibt die Wärmeversorgung im aktuellen Energiekonzept weitgehend ein blinder Fleck. Gerade angesichts der massiven sozialen und wirtschaftlichen Belastungen durch hohe Energiepreise wird deutlich, dass die Wärmewende dringend ins Zentrum der politischen Debatte rücken muss.

Versorgungssicherheit: Zwischen Spardruck und Tabubruch

Österreich steht unter doppeltem Druck: Einerseits zwingt der Sparkurs zu Kürzungen, andererseits steigen Ausgaben für fossile Energien – was wiederum Spielraum für dringend notwendige Investitionen, etwa in Klimaanpassungsmaßnahmen wie Hitzeschutz in Schulen, schmälert.

Im Winter 2024/25 bezog Österreich rund 75 TWh Erdgas. Anders als in den Jahren zuvor stammt dieses Gas mittlerweile nicht mehr aus Russland. Die entsprechenden Verträge mit Gazprom wurden beendet. Heute kommen die Lieferungen primär aus Norwegen sowie über LNG-Terminals aus den USA und Katar.

Österreichs Diversifizierung der Gasquellen (Quelle: e-control.at)

Österreich verfügt aktuell über Gasspeicher mit einer Gesamtkapazität von rund 101 TWh, davon sind etwa 20 TWh staatlich gesichert. Parallel versucht Österreich, sich über LNG (verflüssigtes Erdgas) unabhängiger zu machen. Doch das geht mit einem Preis einher. LNG ist deutlich teurer als das vormals über Pipelines gelieferte Gas aus Russland. Laut Branchenanalysen zahlt Österreich heute rund das Zwei- bis Dreifache für die Befüllung seiner Gasspeicher im Vergleich zur Vorkriegszeit. Der langfristige Liefervertrag mit dem US-Konzern Cheniere Energy ab 2029 deckt rund 11 TWh jährlich – rund ein Achtel des Verbrauchs – aber zu Preisbedingungen, die weit über historischen Werten liegen. LNG-Importe benötigen massive Infrastruktur: Terminals, Regasifizierung, Transport. Zudem ist die ökologische Bilanz verheerend: Fracking-Gas aus den USA hat durch Methanlecks und energieintensive Verflüssigung einen vielfach höheren Klima-Fußabdruck. Die norwegischen Importe – politisch stabiler und umweltverträglicher – sind zwar strategisch wertvoll, aber limitiert in Menge und nicht minder kostenintensiv. Auch hier zahlen europäische Abnehmer Preise, die weit über dem früheren Durchschnitt liegen.

In diese Debatte platzt Staatssekretärin Elisabeth Zehetner (ÖVP) mit einem provokanten, aber realpolitisch motivierten Vorschlag: Nach Kriegsende in der Ukraine solle man prüfen, wieder direkt russisches Gas zu importieren – um Kosten zu senken und Versorgungssicherheit zu garantieren.

Langfristig sollte sich die EU Optionen offenhalten, um die mehrgliedrige Energieversorgung auch künftig sicher und kosteneffizient gestalten zu können“, so Zehetner (Quelle: msn.com)

Die Debatte um Versorgungssicherheit darf daher nicht in nostalgischer Russland-Rhetorik oder moralischer Symbolik verharren. Vielmehr geht es um nüchterne Fragen: Wie viel kostet uns Unabhängigkeit – und was sind wir bereit, dafür an sozialer und infrastruktureller Zukunft zu opfern?

Warum also nicht offen darüber diskutieren, ob ein direkter, günstigerer Import nicht ehrlicher und effizienter wäre – vorausgesetzt, man koppelt ihn an klare Bedingungen und Exit-Strategien? Denn die viel zitierte „Ethik des Gasbezugs“ wird zunehmend zur Rhetorik ohne Konsistenz: Wenn es moralisch verwerflich ist, Gas aus Russland zu kaufen –   wie steht es dann um LNG aus den USA, wo demokratische Institutionen durch autoritäre Tendenzen geschwächt werden? Oder Gas aus Katar, wo Arbeiterrechte, Frauenrechte und Pressefreiheit systematisch unterdrückt werden?

Österreich muss sich fragen: Woran orientieren wir unsere Energiepolitik – an moralischer Symbolik oder an realen Bedürfnissen? Die Diskussion um Gasimporte ist kein Selbstzweck. Es geht um mehr als Moleküle und Herkunftsstempel. Es geht darum, ob künftige Generationen in einem Land leben, das sich durch strategische Weitsicht finanzielle Spielräume erhalten hat – für Klimaanpassung, für Gerechtigkeit, für Infrastruktur. Langfristig muss es unser Ziel sein, uns von fossilen Abhängigkeiten zu lösen – nicht aus geschönter Moral, sondern aus Verantwortung für jene, die nach uns kommen. Kurzfristig aber zählt: das Beste für das Land zu tun, mit Augenmaß und Ehrlichkeit.


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